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1991 verabschiedeten sich TALK TALK mit "The Laughing Stock" von der Existenz. Mit ihren beiden letzten Platten hatten sie impressionistische Meisterwerke hinterlassen, laut Mastermind MARK HOLLIS als Ergebnis einer logischen Weiterentwicklung vom Pop der Anfangsjahre zu freieren Strukturen. Zu wenige konnten die "radikale" Abwendung von klassischen Songstrukturen hin zu freischwebenden, sich allem Zeitmaß entziehenden Stücken nachvollziehen. Die, die es konnten, wissen um die Bedeutung von "Spirit Of Eden" und "The Laughing Stock" als zwei der visionärsten Platten überhaupt. Sieben Jahre später ist MARK HOLLIS wieder in der Öffentlichkeit, so sich der introvertierte Brite diese denn überhaupt zurückwünscht, aufgetaucht. Nach jahrelangem Lernen von Notation, Kompositionsversuchen für Holzbläser und der endgültigen Erkenntnis, Stille dem Krach vorzuziehen, schenkt er uns nun ein Soloalbum, dessen Schönheit nahtlos an "The Laughing Stock" anschließt. Die Reduzierung der musikalischen Mittel ist auf die Spitze getrieben: Klavier, Standbass, akustische Gitarre, Holzbläser, kein elektrisch verstärktes Instrument ist beteiligt, die gesamte Musik nur mit zwei Raummikrofonen aufgenommen. Der Lautstärkepegel der Musik muß neu formuliert werden, eher als kalkulierte Abwesenheit von Stille. HOLLIS singt mutmaßlich im Liegen, soviel Schwermut, wie auf ihm lastet, kann er unmöglich mit sich herumschleppen. Hin und wieder ein Becken, ein Tamburin, WYATTsche Rhythmusfragmente, minimale Bläsersätze, wunderschön dissonant - getragene Getragenheit. "Mark Hollis" lebt, unangefochten, sich allen Kategorien entziehend, Du setzt sie in Gang, und mit dem ersten Ton wird die Zeit zähflüssig. Avantgardistisch wäre nicht richtig, denn die Musik enthält einen immer wieder aufbrausenden Popappeal; der Jazzvorwurf wäre falsch, denn die Platte ist im Gegensatz zu den im Studio entwickelten TALK TALK-Epen komplett komponiert, eher sogar nach klassischem Muster. "The Colour Of Spring", das wohl greifbarste Stück der Platte, ist als Opener gleichsam eine ironische Rückschau zum drittletzten Album TALK TALKs und eröffnet den Reigen von acht abgehobenen und gleichzeitig nahegehenden Stücken, die, allen voran "A Life (1895-1915)", vor den Kamin gehören, Du in einen Schaukelstuhl, den schweren Kopf auf Dein weichstes Kissen gebettet. Manchmal wirst Du mitsummen, so wie HOLLIS es tut, dann aber wieder nur hören, wie im Raum mit Dir Oboen und Klarinetten sanftes Jammern verschütten. Wenn "A New Jerusalem" ohne Knalleffekt einfach aus dem Zimmer gegangen ist, folgt der fast mechanische Druck auf die Repeat-Taste, denn so traurig willst Du wieder sein, und wieder, und wieder, frei nach dem Motto "Place my chair at the backroom door, help me up, I can't wait no more" ("Myrrhman", 1991). Das Jahr ist noch jung, aber für mich mit dieser Platte schon gelaufen. Ein großes Dankeschön!
Carsten Sandkämper / © Intro - Musik & so
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The Colour Of Spring 3:52
Watershed 5:45
Inside Looking Out 6:21
The Gift 4:22
A Life (1895 - 1915) 8:10
Westward Bound 4:18
The Daily Planet 7:19
A New Jerusalem 6:49